Psychologie
Die Geschichte vom Hammer
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuleihen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: „Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gedanken abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht`s mir wirklich!“ – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: “Behalten Sie Ihren blöden Hammer, Sie Rüpel!“
Die „Geschichte vom Hammer“ ist ein Kapitel aus dem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ von Paul Watzlawick. In diesem Bestseller beleuchtet der berühmte Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeut in kurzen Geschichten die häufigsten psychologischen (Fehl)-Vorgänge, mit denen Menschen sich selbst schaden und verrückt machen. Die Hammer-Geschichte illustriert einen Prozess, wie er in vielen Köpfen täglich abläuft: Wir unterstellen unseren Mitmenschen ungute Absichten, während wir unser eigenes Tun verharmlosen. In der Geschichte reicht die Interpretation des flüchtigen Grußes aus, um ein Konstrukt aus Kränkung und Wut aufzubauen. Der Nachbar hat weder die Gelegenheit, das Missverständnis aus der Welt zu schaffen, noch die Chance auf eine faire Meinungsbildung. Paul Watzlawick will aufzeigen, dass man sehr vorsichtig damit sein sollte, über das Verhalten anderer zu urteilen. Jede Handlung eines Menschen kann eine Vielzahl von Ursachen und Motiven haben. Die eigene Sicht darauf kann völlig falsch sein.