Claudia Haak 

Psychologie

 



Das Geheimnis des ersten Eindrucks
Spuren unseres Charakters sind uns ins Gesicht geschrieben, weshalb wir nur etwa drei Sekunden brauchen, um einen ersten Eindruck von jemandem zu bekommen.
Ständig interpretiert unser Gehirn unsere Sinneswahrnehmungen. Für uns völlig unterbewusst kategorisiert es Menschen anhand des Erscheinungsbildes. Nach einer ¼ Sekunde weiß das Gehirn bereits Geschlecht, Alter, Stimmung einer beobachteten Person und ob sie hilfsbereit, nervös oder dumm wirkt.
Auf was konzentriert sich unsere Wahrnehmung beim ersten Auftritt zuerst? Augen? Gesicht? Körper? Stimme? Kleidung? Gestik? Verhaltensstudien und Experimente belegen: alles zusammen. Ein Feuerwerk an Sinneseindrücken durchflutet die so genannten sensorischen Projektionszentren im Kopf. Dieser Sturm an Informationen wird bei dieser Person so nie wieder stattfinden. Für den ersten Moment gibt es keine zweite Chance.
In den ersten drei Sekunden scannt unser Gehirn das Gegenüber unaufhörlich, sammelt Informationen und baut sich ein Bild zusammen. Dafür zuständig ist vor allem die rechte, für Gefühle zuständige Hälfte. Spätestens nach sieben Sekunden ist es komplett. Ab diesem Zeitpunkt sucht das Gehirn vor allem nach Merkmalen, die den ersten Eindruck bestätigen. Es ist also völlig egal, ob er stimmt oder nicht: Das Urteil steht – und ist alles andere als einfach wieder ins Wanken zu bringen. Auch nicht von Fakten. Psychologen sprechen von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wer denkt, dass der andere unsympathisch ist, behandelt ihn genauso, als ob er es wäre. Er stürzt sich auf jeden negativen Aspekt und blendet positive systematisch aus. Deshalb behaupten Versuchspersonen in Experimenten Stunden später immer noch, dass ihr erster Eindruck richtig war, obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, dass ein so schnell gefälltes Urteil bei gründlicher Betrachtung und nach längerer Zeit Bestand haben kann. Die „Leinwand im Kopf“ ist also nach den ersten Sekunden bereits komplett bemalt, Veränderungen am Gesamtbild sind aufwendig. Von nun an werden nur noch Details korrigiert.
Schnelles Entscheiden in einer komplexen Umwelt hat uns die Evolution gelehrt – auch auf die Gefahr hin, sich dabei zu irren. Wer zu lange darüber nachdachte, was denn dieser Säbelzahntiger da tut, hatte bereits wertvolle Zeit zur Flucht verloren. Auch heute achten wir unterbewusst auf kleinste Signale des Gegenübers, um Gefahren zu erkennen. Oder um uns einen Vorteil zu verschaffen. Tatsächlich lässt sich ein begründetes Urteil nicht in wenigen Sekunden ermitteln. Und doch leitet unser Gehirn aus uralten Mustern zusammen mit Vorurteilen, Klischees und Erfahrungen eine Einschätzung der Person ab:
Ein kleines Zucken der Augenbraue beweist Arroganz – ein leichtes Nicken jedoch bedeutet Zustimmung. Wer „wir“ sagt statt „ich“ wirkt sympathisch. Wer lange, gewundene Antworten gibt, will ausweichen, sich verstecken. Ganz wichtig: die Stimmlage. Wer aufgesetzt freundlich ist, spricht mit unnatürlich hoher Stimme. Wer schnell redet, ist impulsiv, oft auch aggressiv. Wer allerdings deutlich und ruhig spricht, der punktet. Am überzeugendsten jedoch ist ein Lachen. Wer lacht, ist gefühlvoll und warmherzig, dynamisch und entschlossen. Lachen öffnet Türen.
Bewusst kann der Mensch 60 Eindrücke pro Sekunde aufnehmen, im Unterbewusstsein sind das mindestens zehn Millionen – schätzen Wissenschaftler. Zunächst ordnet das Gehirn nach bekannt, unbekannt, männlich/weiblich, alt/jung, dick/dünn, groß/klein, interessant/langweilig, attraktiv/unattraktiv. Die Bewertung ist jetzt noch offen.
Das Gehirn hat das Gegenüber gescannt, alle Eindrücke gesammelt. Auf Basis des äußeren Erscheinungsbildes der Person (Art und Farbe der Kleidung, Make-up, Haare, Schmuck, ihrer Mimik und Gestik und vor allem ihrer Stimme erfolgt eine erste grobe Bewertung: gepflegt/ungepflegt, sympathisch/unsympathisch, klar/widersprüchlich.
Ein gepflegtes Äußeres etwa lassen auf Offenheit und Zielstrebigkeit schließen. Ruhige Bewegungen auf Selbstsicherheit. Eine ausgeprägte Kinnpartie auf jemanden, der zupackt. Jetzt beobachten wir die Person bewusst; reden mit ihr. Dabei achten wir weniger auf Inhalt, mehr auf Form. Ist der andere natürlich? Gekünstelt? Verschlossen?
Das Unterbewusstsein hat jetzt alle bewussten und unbewussten Informationen mit unseren bisherigen Erfahrungen abgeglichen – wie ein Suchbefehl am Computer: Er spricht wie…Hat eine Frisur wie…Lacht, läuft, argumentiert wie… Erinnert mich an…All diese Auswertungen geben das abschließende Urteil: Diese Person ist sympathisch – oder nicht.