Claudia Haak 

Partnerschaft



Wahre Liebe – was ist das eigentlich?
Frag mal in deinem Freundeskreis herum – du wirst erstaunt sein, wie viele unterschiedliche Antworten du bekommen wirst. Dabei begegnet sie uns doch täglich: im Fernsehen, den Medien, im Kino oder in der Literatur. Eine Art romantische Dauerberieselung, der sich der moderne Mensch kaum noch zu entziehen vermag. Und ob wir es nun wollen oder nicht, diese Berieselung prägt ganz entscheidend die Vorstellung, die wir mit der wahren Liebe verbinden. In unserer Zeit scheint sie fast eher zur „Ware“ Liebe verkommen zu sein und ruft natürlich die Pessimisten und professionellen Schwarzseher auf den Plan, die gnadenlos immer wieder den Tod der wahren Liebe propagieren.

Und doch, allen Unkenrufen zum Trotz, scheint sie, wenn schon nicht in den Köpfen, so doch in den Herzen der Menschen, weiter zu bestehen. Denn die Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden sitzt seltsam fest verankert. Denn zu was für Mühen sind wir nicht alle bereit, wenn als Lohn echte und tiefe Liebe winkt. Wir alle kennen die Geschichten, die das Leben schreibt: von Menschen, die alles hinter sich gelassen, alle Brücken abgebrochen haben, sich selbst und ihr Leben komplett veränderten, nur um dem Ruf der Liebe zu folgen. Oder von den alten Ehepaaren, die 40, 50 oder noch mehr Jahre zusammenleben und sich immer noch in Liebe zugetan sind.

Und doch sind da auch die Erfahrungen, die eigenen oder die von nahestehenden Menschen, dass es einfach nicht klappen will mit der großen Liebe. Dass, nach anfänglicher Verliebtheit und großer Euphorie, nichts übrig bleibt außer Kummer, Schmerz, Zorn und tiefen Verletzungen. Wer mag da noch an ein romantisches Ideal glauben?

Wusstest du, dass unsere Vorstellung von der einzig wahren, romantischen und lebenslangen Liebe eine Idealvorstellung ist, die sich um 1800 unter dem Einfluss der Romantik im Bürgertum gebildet hat? Die Vorstellung, Liebe und Heirat miteinander zu verbinden, war bis dahin nicht gebräuchlich. Davor war die Ehe eine Zweckgemeinschaft, eine Vernunftehe, die nicht aus Liebesgründen geschlossen wurde. Da ging es rein um wirtschaftliche, soziale und auch politische Interessen. Eine Vorstellung, die uns heute innerlich schaudern lässt, die aber damals ganz normal war. Ohne romantische Liebeserwartungen jedoch, waren diese Ehen relativ stabil. Jeder wusste, was er vom anderen zu erwarten hatte. Man arrangierte sich miteinander und sexuelle Gelüste wurden oft anderweitig ausgelebt. Für die Damen eher heimlich, für die Herren offensichtlicher. Sich eine Geliebte oder Mätresse halten zu können, konnte sogar zur Erhöhung des eigenen Status genutzt werden. Wir stehen dagegen heutzutage vor dem Problem, dass wir Gefühle, die wie wir alle wissen, äußerst wandelbar sind, rechtlich institutionalisieren möchten. Eine wirklich verzwickte Sache, denn das Haltbarkeitsdatum so mancher großen Liebe ist schon lange abgelaufen, bevor die gemeinsamen Kinder aus dem Haus sind. Da hatten es die Minnesänger im fernen Mittelalter doch wesentlich einfacher. Sie besangen die große, einzigartige, wahre Liebe zur holden Schönen, der für immer und ewig ihr Herz gehören sollte und die in so unerreichbarer Ferne war. Ja eben, nur deswegen konnte diese Art romantischer Liebe auf ewig so gut gedeihen – weil die Erfüllung, sprich das Zusammenleben, ausblieb. Und so konnte sich die Romantik an dieser unerfüllten Sehnsucht, wenn es denn so sein sollte, ein Leben lang nähren. Die Sehnsucht ist uns heute geblieben, doch mit dem unerfüllten Schmachten mag sich der heutige Mensch nicht mehr abgeben. Es gibt kaum noch unüberwindliche Grenzen, die Liebende heute wirklich trennen könnten. Den Tod mal ausgenommen. Aber unterschiedliche Gesellschaftsschicht, Alter, Rasse oder Religionszugehörigkeit sind kein Hinderungsgrund mehr. Dass, woran die meisten großen Lieben scheitern, ist der Tod der Romantik. Denn die lässt sich im täglichen, engen Miteinander nur schwer aufrechterhalten. Und trotzdem schaffen es ja einige, ihren Traum von der wahren Liebe zu leben. Und was diese Paare besser machen als andere, dem sind die Wissenschaftler auf der Spur.

Da fragt man sich doch, wie man denn seiner wahren Liebe Dauerhaftigkeit verleihen kann. Fangen wir mal anders herum an. Die Wissenschaftler scheinen sich ziemlich einig darüber zu sein, wie man seine Liebesbeziehung ruinieren kann. Der US-Psychologe John Gottman hat Paare viele Jahre beim Streit beobachtet und daraus seine Schlüsse gezogen. Er nennt diese Beziehungskiller die fünf apokalyptischen Reiter namens Kritik, Rechtfertigung, Verachtung, Machtdemonstration und Rückzug. Er folgert daraus, dass eine Mischung von vernichtendem Schweigen und verletzenden Worten über kurz oder lang jede emotionale Verbindung auflöst.

Was aber ist das Erfolgsrezept für wahre Liebe? Das ist nicht so einfach, denn so unterschiedlich Menschen sind, so individuell gestalten sich auch die Beziehungen. Der Psychologe Prof. Klaus Schneewind befragte 663 Ehepaare, die im Durchschnitt seit 27 Jahren miteinander verheiratet waren, nach ihrem persönlichen Erfolgsgeheimnis. Die häufigste Antwort lautete: „Den anderen so nehmen, wie er ist!“ Gefolgt von: „Vertrauen, Offenheit und Ehrlichkeit!“ Auch Paartherapeuten und Wissenschaftler kommen zu ähnlichen Erkenntnissen: Toleranz, Akzeptanz, gegenseitige Achtung, Gemeinsamkeiten wie Hobbys oder ähnliche Wertvorstellungen und die Fähigkeit zur Kommunikation und Konfliktlösung sind wichtig. Und das muss gelernt und geübt werden. Die Fähigkeit, gemeinsam Höhen und Tiefen zu durchstehen ohne gleich das Handtuch zu werfen, gehört auch dazu. Der vermeintlich einfachere Weg, dann eben nach einem noch besser passenden Partner zu suchen, bringt letztlich nicht viel. Dazu die Psychologin Dr. Wiebke Neberich: „Die wahre Liebe zeigt sich vor allem in schlechten Zeiten, wenn deutlich wird, wie viel den Partnern an der Beziehung liegt, wie sehr sie bereit sind auch mal zu akzeptieren, dass es gerade nicht so gut läuft.“

Vielleicht ist es aber auch an der Zeit, die romantischen Vorstellungen früherer Generationen, die wir immer noch in uns tragen, endlich loszulassen. Die wahre, einzige Liebe eines Lebens, das in früheren Jahrhunderten nur selten mehr als 40 Jahre dauerte, kann für unsere heutige durchschnittliche Lebenserwartung nicht mehr relevant sein. Wer fast doppelt so lange lebt, sollte mindestens auch doppelt so viele Lieben leben dürfen. Im Zeitalter der Lebensabschnittsgefährten wäre dies nur angemessen. Wie war es denn mit 16, als wir unsere erste große Liebe erlebten? Damals hielten wir sie ganz sicher für die einzige, wahre große Liebe. Und wie sieht das jetzt im Rückblick auf unser bisheriges Liebesleben aus? In unserer schnelllebigen, veränderlichen Zeit verändern wir uns mit. Wo in früherer Zeit ein einziger roter Lebensfaden verlief, flicht sich heute ein ganzer Strang verschiedener Lebensphasen zu einem dicken Zopf. Und so, wie wir uns mit der Umwelt verändern, so verändern sich auch unsere Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse. Nicht immer kann der Partner einer Lebensphase den Sprung in die nächste mit vollziehen. Warum soll nicht jede dieser Phasen auch den für uns passenden Partner bereithalten? Warum soll nicht die Studentenliebe unserer frühen Jahre genauso eine große Liebe gewesen sein, wie die Liebe zum Vater oder zur Mutter unserer Kinder? Nur eines sollte sein: Die Liebe, die wir gerade leben, sollte jetzt im Moment die größte unseres Lebens sein!