Claudia Haak 

Psychologie

 


Du musst nicht von allen gemocht werden – Vom Mut, sich nicht zu verbiegen

Beim Aussprechen von Lob „fällt eine kompetente Person ein Urteil über eine nicht kompetente Person“. Eine Mutter lobt ihr Kind, das ihr zum Beispiel bei der Zubereitung des Abendessens geholfen hat, und sagt: „Du bist so eine große Hilfe!“ Aber wenn ihr Mann das Gleiche tut, wird sie ihm mit Sicherheit nicht sagen: „Du bist so eine große Hilfe!“

Mit anderen Worten, die Mutter, die das Kind lobt, indem sie Dinge sagt wie: „Du bist so eine große Hilfe“ oder: „Gut gemacht“, oder auch: „Ach, du bist wirklich toll“, schafft unbewusst eine hierarchische Beziehung und sieht das Kind als unter ihr stehend an. Das Beispiel der Tierdressur ist ebenfalls kennzeichnend für die hierarchische Beziehung – die vertikale Beziehung -, die hinter dem Lob steckt. Wenn jemand einen anderen lobt, macht er das mit dem Ziel, „jemanden zu manipulieren, der weniger kann als man selbst“. Es geschieht nicht aus Dankbarkeit oder Respekt.

Ob wir jemanden loben oder tadeln, das ist wie Zuckerbrot und Peitsche, und hinter beiden steht das Ziel der Manipulation.

Gleichwertig, das heißt horizontal. Zum Beispiel gibt es Männer, die ihre Frauen mit Worten missbrauchen, mit Bemerkungen wie: „Du bringst kein Geld ein, also will ich nichts von dir hören“, oder: „Ich sorge dafür, dass das Essen auf dem Tisch steht.“ Und: „Du hast alles, was du brauchst, also worüber beklagst du dich?“ Es ist absolut schändlich. Solche Aussagen finanzieller Überlegenheit oder Ähnliches haben überhaupt nichts mit menschlichen Werten zu tun. Ein Angestellter in einer Firma und eine Vollzeit-Hausfrau haben lediglich unterschiedliche Arbeitsplätze und Rollen und sie sind wahrhaft „gleichwertig, aber nicht gleich“.

Die Männer haben vermutlich Angst, dass die Frauen sich über ihre Situation klarwerden und am Ende mehr Geld als sie verdienen und dass sie sich immer mehr durchsetzen. Für Männer sind alle Beziehungen vertikal, und sie haben Angst davor, von den Frauen als unterlegen betrachtet zu werden. Das heißt, sie haben starke, verborgene Minderwertigkeitsgefühle.

Wenn man seine Aufgaben nicht zu Ende bringt, liegt das nicht daran, dass man unfähig ist. Es geht hier nicht um Unfähigkeit, sondern einfach darum, dass man „den Mut verloren hat, sich seinen Aufgaben zu stellen.“ Und wenn dass der Fall ist, muss man zuallererst zu diesem verlorenen Mut zurückfinden.

Je mehr man von jemand anderem gelobt wird, desto mehr entwickelt sich der Glaube, man besitze keine Fähigkeiten. Bitte vergiss das nicht.

Wenn man sich über ein Lob freut, so ist dies mit der Abhängigkeit von vertikalen Beziehungen gleichzusetzen – und man gibt zu, dass man keine Fähigkeiten besitzt. Denn Lob ist ein Urteil das von einer fähigen Person über eine unfähige Person gefällt wird.

Gelobt zu werden bedeutet im Grunde, dass man von einer anderen Person als „gut“ bewertet wird. Und was gut oder schlecht ist, wird durch den Maßstab dieses Menschen bestimmt. Wenn man auf Lob aus ist, wird man keine andere Wahl haben, als diesen Maßstab zu akzeptieren und sich in seiner Freiheit damit einzuschränken. „Danke“ dagegen ist keine Bewertung, sondern ein klarer Ausdruck von Dankbarkeit. Wenn man Worte des Dankes hört. Weiß man, dass man etwas für die andere Person getan hat.

Dass das Tun auf die Gemeinschaft Einfluss hat; das soll heißen, auf andere Menschen, und dass man das Gefühl haben kann: Ich bin für jemanden hilfreich. Statt von jemand anderem als „gut“ beurteilt zu werden, aus der eigenen subjektiven Sicht fühlen zu können, dass ich zum Wohl anderer etwas beitrage. An diesem Punkt haben wir schließlich ein wahres Gefühl von unserem eigenen Wert.
Betrachtet man die Dinge auf der Ebene des Seins, sind wir für andere von Nutzen und haben Wert, einfach, weil wir hier sind. Das ist eine unbestreitbare Tatsache.

Akzeptiere das, was nicht austauschbar ist. „Dieses Ich“ einfach akzeptieren, wie es ist. Und den Mut haben zu ändern, was man ändern kann. Das ist Selbst-Akzeptanz.

Menschen, die andere als Feinde ansehen, besitzen keine Selbst-Akzeptanz und nicht genügend Vertrauen in andere.

Betrachte das Leben nicht als eine Linie. Denke dir das Leben als eine Reihe von Punkten. Wenn du durch ein Vergrößerungsglas auf eine durchgezogene Linie aus Kreide blickst, wirst du bemerken, dass das, was du als Linie wahrgenommen hast, tatsächlich eine Reihe von kleinen Punkten ist. Die scheinbar lineare Existenz ist in Wirklichkeit eine Ansammlung von Punkten; und anders gesagt: Das Leben ist eine Abfolge von Momenten.