Psychologie
Magie des Konflikts
Ein O-Ton aus der Paartherapie: „Unsere Beziehung ist schon länger tot.“ – „Wann etwa ist sie denn gestorben?“ – „Etwa in dem Moment, wo wir aufgehört haben, uns zu streiten.“ Zu irgendeinem Zeitpunkt kippt häufig der heiße Konflikt in ein kaltes Anschweigen, das oft schlimmer ist als die lautstarken Angriffe, die es ausgelöst haben. Warum? Weil die Hoffnung erloschen ist. Dann investiert man nicht mehr in den Konflikt, sondern meidet die offene Auseinandersetzung. Heimlich beschäftigt man sich mit alternativen Lebensszenarien, bereitet den Exit vor. Es ist eben kein Zeichen von Stabilität, keinen Konflikt zu haben! Im Gegenteil: es ist ein Alarmzeichen.
Solltest du hingegen wissen, dass kein gemeinsamer Weg mehr vor euch liegt, erlischt alles, was Bindung erzeugt. Dann sterben Selbstdisziplinierung und Mäßigung. Wer heimlich den Gedanken trägt „Es wäre besser, du wärst gar nicht da!“, der wird immer neue Gründe für Konflikte finden. Sie kommen zuverlässig wieder wie eine Gürtelrose.
Es gibt „nötige“ und „unnötige“ Konflikte.
Oft wird Zurückhaltung als Zustimmung gewertet. „Nötig“ sind Konflikte, wenn Schweigen schuldig macht. Bei Miesmacherei, Blamierversuchen, falschen Richtigstellungen. Gerade in Zeiten agilen Überschwangs halten es viele Chefs für chic, sich zurückzuhalten, obwohl deutliches Positionsbeziehen sachlich angezeigt wäre. Vor allem aber: Wenn deine Selbstachtung auf dem Spiel steht.
Nörgeleien, Mäkeleien findet man oft bei zänkischen Langzeitverheirateten. Das Kleinliche gehört zu den schlimmsten Heimsuchungen einer aufgebrauchten Liebe.
Unnötig sind ebenso Konflikte, wenn man mit seiner Voreingenommenheit den Widerstand anderer reizt, was zunächst immer zu Stillstand führt und lediglich machtbasiert zu entscheiden ist. Gewinner-Verlierer-Verhältnisse sind die Folge.
Unnötige Konflikte kann man vermeiden. „Unnötig“ ist ein Konflikt zumeist aus einer individuellen Perspektive. Der andere hingegen mag ihn für „nötig“ halten. Dazu ist zu sagen: Sobald du an dem festhalten willst, was euch verbindet, ist das Problem des anderen auch dein Problem! Wenn du jedoch sagst: „Das ist nicht mein Problem“, dementierst du das Gemeinsame. Man sollte die Begriffe klären, wenn man unnötige Konflikte vermeiden will.
Hingegen kann der Konfliktscheue den nötigen Konflikt nicht vom unnötigen trennen. Der Konfliktscheue ist der, der sich seine Passivität als Weisheit zurechtlegt. Der zum Relativismus neigt. Der nichts zum Fortschritt beiträgt, weil er Auseinandersetzungen aus dem Weg geht.
Der Rebellische kann ebenso wenig den nötigen Konflikt vom unnötigen unterscheiden. Der Rebellische wählt nicht wirklich sein Verhalten, er wägt nicht ab, sondern geht reflexhaft in die „Gegen-Anpassung“. So nennt die Psychologie dieses Gebaren. Er ist grundsätzlich dagegen, wogegen auch immer. Erst im Widerstand fühlt es sich für ihn selbst richtig an. Ob es sich auch für andere richtig anfühlt, ist offen. Es könnte gut sein, dass der Sinn seines Lebens nur darin besteht, allen anderen als Warnung zu dienen. Die gute Nachricht: Man kann immer wählen, ob man sich den Umgang mit diesen Zeitgenossen antun will. Auch einen Chef kann man abwählen.
Mehrdeutigkeit ist das Wesen des Konflikts, seine Grundbeschaffenheit. Aber auch seine Ursache: Eine Situation enthält Alternativen; diese werden unterschiedlich wahrgenommen und bewertet.
Die Lösung könnte auch das Problem werden. Fortwährend müssen wir entscheiden zwischen Alternativen, die beide attraktiv erscheinen, aber nicht gleichzeitig erreichbar sind. Und nicht immer kennen wir die Konsequenzen. Was wartet wohl hinter der nächsten Weggabelung auf uns? Zumindest können wir das nicht vollumfänglich wissen.
Denn entscheiden heißt: Ein Preis ist fällig. Und das ist für manche Menschen unerträglich. Aufschub ist der Dieb der Zeit.
Unwürdig ist es, wenn man nach einer Entscheidung die andere Seite abwertet. Etwa, um Klarheit, Entschiedenheit oder eben Alternativlosigkeit zu unterstreichen. Damit leugnest du deine Freiheit, dass du dich auch anders hättest entscheiden können. Nein, es muss heißen: “Beide Seiten sind gleich gültig, beide sind möglich. Aber ich habe mich jetzt für die eine Seite entschieden. Das dementiert nicht die Alternative, nimmt nichts von ihr weg. Und es mag sein, dass ich sie zu einem späteren Zeitpunkt vorziehe.“
Ein geglücktes Leben zeichnet sich dadurch aus, dass man die Widersprüche akzeptiert und mit ihnen umgeht. Das gilt privat wie beruflich. Managen heißt Widersprüche verwalten. Im Unternehmen. Und in sich selbst.
Niemand zwingt dich, einen Konflikt entstehen zu lassen. Konflikt ist deine freie Entscheidung! Ebenso kann man gemeinsam nach einer dritten Option suchen. Es ist egal, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist – solange noch ein paar Flaschen im Kühlschrank sind.