Claudia Haak 

Psychologie

 


Selbstschutz: Harmoniestreben und Überanpassung
Manche haben als Kind die Erfahrung gemacht, dass dies der erfolgreichste Weg ist, um Zuwendung und Anerkennung zu erhalten. Um sich bestmöglich anzupassen, haben die „Harmoniestreber“ schon früh gelernt, eigene Wünsche und Gefühle zu unterdrücken. Ein starker eigener Wille steht nämlich einer gelungenen Anpassung im Weg. Emotionen wie Wut und Aggression, die dem eigenen Willen ungeheure Schubkraft verleihen könnten, unterdrücken sie reflexartig. Sie sind aggressionsgehemmt. Weil die Harmoniebestrebten so gut trainiert sind, ihre eigenen Wünsche zu unterdrücken, wissen sie häufig selbst nicht, was sie wollen. Es fällt ihnen schwer, persönliche Ziele zu definieren und Entscheidungen zu treffen. Harmoniesüchtige haben große Angst anzuecken, und sind deswegen konfliktscheu. Deswegen sagen sie oft nicht ehrlich, was sie fühlen, denken und wollen - zumindest dann nicht, wenn sie befürchten, hiermit auf Widerstand zu stoßen. Aus Angst vor dem scheinbar Stärkeren ordnen sie sich diesem freiwillig unter und tun Dinge, die sie eigentlich nicht tun wollen.

Erste Hilfe:

Das Schattenkind darf zu seinen Wünschen und Bedürfnissen stehen. Hierdurch verlierst du nicht unbedingt an Sympathie, sondern du kannst an Sympathie sogar gewinnen, weil du für deine Mitmenschen leichter greifbar und transparenter wirst. Sie müssen sich nicht ständig den Kopf zerbrechen, was in dir vorgeht.

Die Gleichung, die Helfende in Beziehungen aufstellen, lautet sinngemäß: „Du brauchst mich, also bleibst du bei mir!“ Die Helfenden kämpfen oft bis zur Verausgabung auf verlorenem Posten. Sie wollen nicht wahrhaben, dass ihr Einfluss auf ihr Zielobjekt letztlich gering ist. Wenn dieses nämlich für seine Misere keine eigene Verantwortung übernimmt und hieran selbst nichts ändern will, dann helfen auch die besten Ratschläge nichts. Somit verkehrt sich die Situation der Abhängigkeit: Der Helfende, der eigentlich seinen Partner gern von sich abhängig machen möchte, erlebt sich selbst als abhängig, weil er ihm weder helfen noch sich von ihm lösen kann.

Die Helfer werden von ihrem Partner nämlich zumeist nicht gut behandelt. Ihre eigenen Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit und Zuwendung kommen chronisch zu kurz. Hierdurch wird das Schattenkind des Helfenden in seiner Grundangst bestätigt, dass es wertlos und schlecht ist. Um sich das Gegenteil zu beweisen, kämpft es weiter um seinen Partner in der unerschütterlichen Hoffnung, dass dieser sich verändert und es irgendwann besser behandelt. Durch diesen Kampf hängt es jedoch an der Angel des Partners.

Die Emotionen Wut und Aggression haben den lebensgeschichtlichen Sinn, dass wir unsere persönlichen Grenzen verteidigen können. Das Problem in unserer Zeit ist nur, dass die Feinde nicht so objektiv zu identifizieren sind wie in der Steinzeit. So können sie beispielsweise Bemerkungen, die objektiv harmlos sind, schnell in den falschen Hals bekommen und reagieren gekränkt. Kränkung ist ein Gefühl, das ungeheure (aktive) Aggressionen freisetzen kann. Vor allem bei jenen, die nicht – wie die Harmoniestreber – reflexartig ihre Wut unterdrücken.

Bei den Zicken findet eine blitzschnelle Verkettung von Reiz-Reaktion-Handlung statt. Auf einen vermeintlichen Angriff erfolgt das Gefühl der Kränkung, das Wut freisetzt und den Agitator impulsiv zuschlagen lässt. Entweder verbal oder körperlich. Menschen, die zu Impulsivität neigen, leiden häufig selbst darunter. Spätestens wenn der Wutrausch verflogen ist und sie wieder in ihrem Erwachsenen-Ich angekommen sind, wissen sie, dass sie über das Ziel hinausgeschossen sind. Das Problem ist, dass impulsive Wut sehr schwer zu zügeln ist. Wenn man seine Impulsivität beherrschen möchte, müssen die Interventionen darauf abzielen, dass die Wut gar nicht erst aufkommt. Die Prävention muss also bei der Kränkung ansetzen und ist somit eines der Kernanliegen.

Manche Machtmenschen drohen ihrem Partner mit Sanktionen oder Trennung, wenn dieser nicht nach ihrer Pfeife tanzt. Der Partner fühlt sich zu abhängig, um sich ernsthaft zu widersetzen oder das Weite zu suchen. Auch in dieser Konstellation hat das Schattenkind des abhängigen Partners große Angst, ohne den Partner nicht leben zu können.

Menschen, die sich in erster Linie durch Rückzug in ihre eigenen vier Wände beschützen, haben häufig aufgrund ihrer Kindheitserfahrungen einen Glaubenssatz verinnerlicht, der sinngemäß beinhaltet, dass Alleinsein die sicherere Option als zwischenmenschlicher Kontakt darstellt. Wenn sie allein sind, fühlen sie sich aber nicht nur sicher, sondern auch frei, weil sie nur, wenn sie allein sind das Gefühl haben, frei entscheiden und frei handeln zu dürfen. Sobald andere Menschen in ihrer Nähe sind, springt nämlich ihr Kindheitsprogramm an, deren (vermeintliche) Erwartungen erfüllen zu müssen.

Die Flucht in Aktivitäten dient dazu, die darunterliegenden Nöte des Schattenkindes zu verdrängen. Permanente Geschäftigkeit bietet eine hervorragende Ablenkung von den Selbstzweifeln und Ängsten des Schattenkindes. Millionen Menschen können nicht stillsitzen, weil in der Stille ihre negativen Glaubenssätze vernehmbar sind.