Claudia Haak 

Partnerschaft


Liebe in Zeiten der Ablenkung 
Niemals zuvor war es so leicht, mit so vielen Menschen elektronisch Kontakt zu halten, aber selten zuvor war es so schwer, wirkliche menschliche Nähe zu erfahren. Liebe beginnt mit Aufmerksamkeit. Liebe beginnt, wenn wir einen anderen Menschen wahrnehmen. Liebe beginnt, wenn jemand unsere Aufmerksamkeit erregt. Sei es auf einer Party mitten in einem überfüllten Raum oder durch eine Anzeige bei einer Internet-Partnerbörse – irgendein Signal zieht unsere Aufmerksamkeit auf diese bestimmte Person und nicht auf eine andere. Niemand hat bisher genau herausgefunden, wie und warum das passiert – aber es geschieht seit Urzeiten so. In der heutigen Welt stören Ablenkungen unsere Aufmerksamkeit pausenlos. Es erscheint manchmal unmöglich, die Grundvoraussetzungen für Liebe – nämlich Aufmerksamkeit – zu geben oder zu erhalten. Ist man erst einmal – was kein Kunststück ist – aufmerksam, aufeinander geworden, ist der nächste Schritt hin zur Liebe, diese Aufmerksamkeit eine Zeit lang festzuhalten. Ohne dauerhafte Aufmerksamkeit kann die Liebe nicht wachsen. Auf der anderen Seite kann zu viel Aufmerksamkeit sie ersticken. Auch wenn einige Leute behaupten, die richtige Balance im Voraus zu kennen – jede Liebe ist anders, und das ist auch der Grund dafür, dass es nicht das eine Patentrezept dafür gibt und die von „Experten“ angebotenen „Tipps, die große Liebe zu finden“ so oft fehlschlagen.

Aufmerksamkeit schenken und erhalten wird zu einer Art Tanz, wenn die Liebe wächst. Man sieht sich, man sieht sich wieder nicht. Man gibt sich unnahbar, man lässt sich nicht leicht erobern. Wenn du mich haben willst, musst du dich anstrengen. In diesem Stadium konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit auf den anderen in dessen Abwesenheit. Man widersteht mit allen Mitteln der Versuchung, das Handy in die Hand zu nehmen und anzurufen. Man geht dem anderen bewusst aus dem Weg, während man Tag und Nacht an ihn denkt. Man beschäftigt sich mit der anderen Person, hält aber eine gewisse Distanz. Das ist der Tanz der wachsenden Liebe.

Doch wie schon gesagt: Unser Zeitalter der Ablenkung kann diesen Tanz unterbrechen. Wenn man keine Zeit zum Schauen und Staunen hat; wenn man keine Zeit hat, sich anzunähern und wieder zurückzuziehen und mit Herz und Seele dabei zu sein, gerät die Liebe ins Stocken. Nicht, weil man nicht zusammenpasst, sondern weil man der Liebe nicht genügend Raum zum Wachsen gegeben hat.

Aufmerksamkeit, die man über längere Zeit in angemessenem Maß geschenkt und erhalten hat (wobei das Maß von Paar zu Paar verschieden ist) führt zu einem tieferen Interesse und Kennenlernen des anderen, was wiederum Verständnis und Einfühlsamkeit begründet.

Gegenseitiges Einfühlungsvermögen schafft eine Verbindung. Man kann die Kraft einer starken Verbindung nicht hoch genug einschätzen. Sie bestimmt das Leben. Aber sie kann sich nicht entwickeln, wenn Menschen unfähig sind, jemand anderem über längere Zeit ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Ein solch banales Hindernis – Ablenkung – ruiniert in unserer Zeit Millionen von möglichen intimen Beziehungen.

Aber wenn wir in der Lage sind, eine echte Verbindung einzugehen, können wir es schaffen. Das ist der Lohn der Liebe. In einer Bindung fühlen wir uns sicher genug, unsere Verletzlichkeit zu zeigen. Wir fühlen uns sicher genug, um loszulassen und zu spielen. Spielen ist die wichtigste Aktivität wahrer Liebe. Mit „spielen“ ist jede Aktivität gemeint, bei der unsere Phantasie lebendig wird.

Eine neue Untersuchung hat gezeigt, dass es noch wichtiger ist, für den Partner in guten Zeiten da zu sein als in schlechten Zeiten. Die Studie fand heraus, dass es ein stärkerer Indikator für die Qualität einer Partnerschaft ist, wenn man Erregung und Freude über gute Nachrichten miteinander teilt, als dem Partner zuverlässig zur Seite zu stehen, wenn schlechte Nachrichten eintreffen.

Zusammen zu spielen und zu feiern – Spaß miteinander zu haben – ist sehr viel wichtiger, als die meisten Menschen glauben. Diese Fähigkeit ist der Eckpfeiler aller gelungenen Beziehungen.

Ich weiß, dass meine Ehe eigentlich in Ordnung ist…bis ich innehalte und darüber nachdenke.
Eine der verstörendsten Erkenntnisse über unser heutiges Leben ist, wie böse, gehässig und unfreundlich es sein kann. Dank moderner Technologie leben wir in einem Zeitalter des sofortigen Erwischt! in einem Zeitalter voller Tratsch und Klatsch und Skandale, die in einer Endlosschleife über die Bildschirme dieser Welt flimmern; in einem Zeitalter verschwindender Privatsphäre und wachsenden Misstrauens, in dem witziger Spott und „geistreiches“ Verhöhnen Aufmerksamkeit erregen, während ein anerkennendes Lob abgedroschen und altbacken klingt.