Claudia Haak 

Kolumne























Meerzeit – Durchatmen!
2018 hatte ich es endlich gewagt und getan. Ich war eine Woche allein auf Norderney, weil ich das dringende Bedürfnis nach Ruhe und Zurückgezogenheit hatte. Allein, ohne Freundin und Familie. Mein Chef und einige Kollegen sahen mich ungläubig an und stellten mir die Frage, ob es denn wirklich keine Freundin oder sonst jemanden gäbe, mit dem ich fahren könne. Meine Kollegin fragte mich besorgt, was mein Mann denn in der Zeit täte. Äh, wie jetzt? Atmen, arbeiten, weiterleben. Herrlich. Nachdem ich ihnen versicherte, freiwillig und sehr gerne allein in Urlaub zu fahren und mich zudem noch nie so sehr auf einen Urlaub gefreut zu haben, wurde mein Vorhaben abgenickt.

Mein Mann brachte mich netterweise zum Bahnhof und bot sich auch an zu warten, bis ich in den Zug gestiegen war, nicht, wie ich vermutete, um sicher zu sein, dass ich auch tatsächlich fahren würde (jedenfalls verneinte er es auf meinen Hinweis hin), sondern vielmehr, weil er mir tatsächlich nicht zutraute, den Bahnsteig mit samt richtigem Zug und Abteil zu finden. Unfassbar! Und das nach 26 Jahren Ehe. Da sieht man mal, welche Muster immer wieder bedient werden. Gut, ich bin eher der Auto- als der Bahnfahrer und muss mich tatsächlich am Bahnsteig erstmal sortieren, aber ich bin schon groß und schaff das auch allein. Das habe ich meinem Mann auch zu verstehen gegeben, als er mich ein wenig rüde mitsamt Koffer dem Einstieg entgegenschob, der Zug war in veränderter Wagenabfolge eingefahren. In diesem Moment war ich definitiv reif für die Insel und der Abschied verlief daher auch ein wenig spröde, zuvor hatte er sich noch beschwert, dass er ja nun noch länger warten müsse, da der Zug Verspätung hatte. Herrje, ich hatte ihn nicht gebeten mitzukommen. Männer.

Die Zugfahrt war entspannt, bis zu dem Moment, wo in Recklinghausen 18 Schalke Fans mitsamt Soundmaster und einer Reisetasche voller Veltins einstieg und das Abteil füllte.  Ungefragt wurde mir mitgeteilt, dass man auch nach Norderney, in die Jugendherberge fahre, sie waren alle tätowiert und seit Urzeiten befreundet. Naja, da kam Stimmung auf, positiv betrachtet und eigentlich war es ganz lustig, nach 4 ½ Stunden Fahrt war ich aber froh, endlich Ruhe zu haben.

Ich hatte mir auf Norderney eine kleine ruhige Wohnung gemietet, die sehr schön war. Direkt am ersten Tag mietete ich mir einen Strandkorb. Der Urlaub konnte beginnen. Ich hatte befürchtet mich einsam zu fühlen, dass mir das Reden oder der Kontakt fehlen würde, aber nichts dergleichen geschah. Es fühlte sich von Anfang an richtig und vertraut an und ich entspannte mich zunehmend, dachte viel nach, führte Selbstgespräche, aber auch nette Gespräche mit der Vermieterin, Verkäuferinnen in den Läden, einem alten Fischer und Bademeister am Nordstrand und vielen Rentnern, die sehr redselig waren. Am meisten genoss ich es aber, nicht in einen Zeitplan eingeplant zu sein, niemanden neben mir sagen zu hören „wir müssen jetzt aber…, beeil dich“. Ich konnte bestimmen, ob ich mich ins Bett legen, lesen, fernsehen, an den Strand gehen oder was auch immer machen wollte und das war total befreiend. Keine sorgenvollen Gedanken um meine alternden, zunehmend kränkelnden Eltern, meine Tochter, die in letzter Zeit mehr mit Abwesenheit als Anwesenheit glänzte und mich lediglich in kurzen WhatsApp-Nachrichten über Neuigkeiten informierte um dann wieder ins Nichts abzutauchen, meinem Sohn, der eine mulmige Zeugenbefragung in Frankfurt vor sich hatte, nachdem Frankfurter Hooligans 2016 auf einem Frankfurter Parkplatz nach dem Spiel des 1.FC Köln gegen Frankfurt ihn und seine Freunde, im Auto sitzend, bei der Ausfahrt vom Parkplatz mit Eisenstangen, Steinen und Baseballschlägern attackiert hatten und sie mit einem schrottreifen Auto, aber unversehrt unter Todesangst die Aktion überlebten. Da will man einem vermeintlichen Täter nicht unbedingt im Gerichtssaal gegenübersitzen, von vermeintlichen Mittätern, die dort einem auflauern könnten, ganz zu schweigen.

Allerdings nutzte ich die Zeit, um über meine Partnerschaft nachzudenken. In letzter Zeit hatte ich zunehmend das Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein. Dies respektierte mein Mann nicht wirklich, vielmehr hätte er gerne eine Partnerin, die ihn bespaßt und von der Couch holt. Wir haben uns, wie viele andere Paare auch in unserem Alter, verändert und mit dem Rauswachsen der Kinder, fällt es plötzlich auf. Um es mit den Worten von Dieter Nuhr zu sagen „Da schaut man nach x-Jahren Ehe plötzlich auf, sieht den Partner an und denkt sich HUCH“. Tja. Nicht schön, aber Realität. Ich habe viel in meine Innenschau investiert und an mir gearbeitet, kurzum, ich bin rundum zufrieden mit meinem Leben. Mein Mann war jedoch mit der Gesamtsituation unzufrieden, wollte es nochmal krachen lassen und ausgiebig das Leben spüren, was auch immer das heißen mochte. Jedenfalls rieb er sich an meiner Zufriedenheit und in unguten Momenten bekam ich das dann auch mitunter lautstark zu hören. Dummerweise bin ich ein Familienmensch und halte lieber fest, gerne auch überholte Vorstellungen von etwas, als das ich loslasse. Zeit zum Wandel also, wie auch immer er aussehen mag.

Man hört ja viel im Kollegen- und Freundeskreis von sich auseinandergelebten Paaren, die sich trennen um nochmal neu mit oder ohne Partner anzufangen. Im Grunde eine prickelnde Vorstellung. Andererseits hat jeder Mensch ein Idealbild im Kopf und meins war immer das einer lebendigen Familie und einem Partner, mit dem ich alt werden kann. Dann habe ich in letzter Zeit aber festgestellt, dass ich im Alleinsein viel Kraft tanke und mich gefragt, ob ich mein Lebenskonzept vielleicht doch überdenken sollte.

Nun stand ich also auf Norderney am Meer und fühlte mich unendlich befreit, geborgen, glücklich und in keiner Weise allein. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich bleiben können. Ich dachte schon, dass es sicherlich auch möglich wäre, dort in einem Laden zu arbeiten, nebenbei erneut ein Buch zu schreiben oder sonst was zu finden. Ohne all die Altlasten meines Umfeldes – eben ein Neuanfang.

Natürlich bin ich 2018 wieder abgereist, aber 2022, nach der Trennung von meinem Mann, wiedergekommen. Diesmal teils mit einer Freundin und teils alleine. Und es ist schon erstaunlich, da ist ein Gefühl von Heimat und Ankommen, wenn ich die Insel betrete, so, als hätte ich etwas wiedergefunden, was ich vermisst habe. Ein schönes Gefühl, wie pures Glück. Und auch diesmal bin ich wieder abgereist, aber mit dem festen Ziel zukünftig mehr Zeit auf der Insel zu verbringen, soweit dies möglich ist. Und bis es soweit ist, stelle ich mich weiterhin den Herausforderungen meines Alltags und Arbeitslebens in Köln und träume mich ab und an auf die Insel, schaue mir die Fotos an und kann dann mit viel Phantasie das Meer riechen und hören.

2024 war ich erneut auf der Insel. Man merkte die Veränderung, wie man sie derzeit generell in der Gesellschaft und der Wirtschaft feststellt. Personalmangel, genervte Verkäuferinnen beim Bäcker und in den Läden. Manche erzählten mir, dass die Art des Umgangs kaum auszuhalten sei. Was man sich alles anhören müsse. Manche Läden im Zentrum Norderneys waren geschlossen. Diesmal stand mein Urlaub unter dem Einfluss der EM. Auch das Wetter spielte nicht so mit. Ich kam bei Sturm und strömendem Regen an und befürchtete schon das Schlimmste. Der Dame an der Rezeption meiner Ferienunterkunft versprach ich, die Sonne mitgebracht zu haben und sie lachte ungläubig. Aber, das kleine Wunder geschah und ab Montag war dann tatsächlich die Sonne täglich für ein paar Stunden am Himmel und ich konnte mir einen Strandkorb mieten. Ich bin kein Freund von Hitze jenseits von 25 Grad und kann mit einer Nordsee mit 15 Grad Wassertemperatur und 17 Grad Außentemperatur (es blieb unter 20 Grad), super leben. Auch bin ich mit Badeanzug ins Wasser gegangen, allerdings nur maximal knietief. Ich liebe das. Auch die hohen Wellen, den Wind, die schnell dahinziehenden Wolkenformationen. Mehr brauche ich nicht. Ich liebe die Natur und gehe auch gerne in den Dünen spazieren. Auf Norderney, in der Zurückgezogenheit am Nordstrand kann ich wunderbar entspannen. Meerzeit! Durchatmen!

Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. (Antoine de Saint-Exupéry)